20 Jahre

Im Mai 1994 fuhren wir zum ersten Mal mit unserem Jugendorchester nach Georgien - 55 Personen mit Beethovens Achter im Gepäck. Wir folgten der Einladung unseres Partnerorchesters unter der Leitung ihres charismatischen Dirigenten Nukri Davitashvili. Unsere gemeinsamen Auftritte waren Bestandteil der„Deutschen Woche" in Tbilissi. Das Saarland und Georgien, Tbilisi und Saarbrücken hatten zu der Zeit bereits seit etlichen Jahren partnerschaftliche Beziehungen, in die sich unser Besuch passend einfügte. Er war aber vor allemein Ergebnis des sich ausweitenden Engagements des Deutsch-Georgischen Freundeskreises (DGF), der in den frühen Neunziger-Jahren zunächst vor allem humanitäre Zieleverfolgte. Damals hatte das Land kaum den Bürgerkrieg hinter sich. Die Spurendavon waren noch überall sichtbar und auch deutlich in den Lebensverhältnissenspürbar. Hier setzte vor allem die Hilfe des DGF an. Doch bald schon ging esnicht mehr „nur" darum, die Not zu lindern, sondern „in die Zukunft zuinvestieren". Wie kann das besser geschehen, als dass man Jugendliche zusammenführt - in gemeinsamem Kulturschaffen?! Das war das ideelle Fundament fürunseren ersten Besuch in Georgien, der tief greifende, sehr berührende Ein drücke hinterließ. Damals wie heute gehörte nämlich zum Konzept dieses Jugendaustausches: Wohnen in Familien, Kennenlernen der Menschen, des Landes undder Kultur sowie Begegnung durch Musik.
Dieser ersteBesuch hatte Pioniercharakter und niemand konnte wissen, was sich darausentwickeln würde. Zu jedem Besuch gehörte von Anfang an der Gegenbesuch und sowaren wir im folgenden Jahr Gastgeber. Die Begeisterung über die neuentstandenen Beziehungen und Freundschaften und der Wunsch, das fortzusetzenund auszubauen, war auf beiden Seiten so groß, dass wir bereits 1996 wieder in Georgien waren und 1997 die Georgier zum zweiten Mal empfingen. Dabei stand musikalisch Grieg im Mittelpunkt, zuerst mit seiner schwungvollen Sinfonie und dann mit denwunderbaren Peer-Gynt-Suiten. Musikalischer Assistent war Baadur Samadashvili, als brillanter Geiger und als inspirativer Dirigent.
2001, nachvierjähriger Pause, kurz nach dem „11. September", war vieles anders. DieOrchester hatten sich völlig ausgewechselt, wir probten erstmals in der neuentstandenen Waldorfschule, zu den von nun an festen Konzertorten gehörte dieevangelische Kirche in Tbilisi und zum Reiseprogramm Batumi am Schwarzen Meer.Beim Gegenbesuch im folgenden Jahr haben wir auch in Düsseldorf und Heidelberg Konzerte gegeben - ein Zeichen für die Ausweitung der deutsch-georgischenBeziehungen.
2005 gehörten10 Musiker aus Trier ebenfalls zu unserem Orchester und auf georgischer Seiteerstmals LeksoTuriashvili als lebendiger, engagierter Co-Dirigent. Mendelssohn sjugendfrische 1. Sinfonie war der musikalische Schwerpunkt. Tbilisi empfing unsnach der „Rosenrevolution" heller, optimistischer, „blühender" als zuvor. DerGegenbesuch 2006 war geprägt durch ein sehr vielfältiges Programm, durchbesonders viele Konzerte (mit Beethovens Fünfter) u.a. in Trier, Luxemburg, inder Dorfgemeinschaft Sassen - und durch den Wunsch, die Pause bis zumWiedersehen nicht so lang werden zu lassen.
Deshalb plantenwir bereits für 2008 den nächsten Austausch, der allerdings durch dentragischen „Kaukasuskrieg" verhindert wurde und dann erst ein Jahr späterstattfinden konnte. So gehörte dann zu unseren Aufführungsorten ein Konzert imFlüchtlingsdorf Zerovani - ein Zeichen unserer Verbundenheit mit denheimatlosen Südosseten. Auf der anderen Seite war für diese Reise aber eineganz besonders tiefe Verbundenheit der Jugendlichen aus Georgien und Deutschland charakteristisch, die sich erstaunlicher Weise fast soforteinstellte. Es war, als würden sich lange getrennte Freunde endlich wieder indie Arme schließen, obwohl sich viele doch zum ersten Mal sahen. Bei keiner dervorherigen Begegnungen wurde so oft zusammen gesungen und gefeiert! Freundschaftliches Miteinander und gute Laune waren stets präsent. DieseAtmosphäre setzte sich beim Gegenbesuch 2010 nahtlos fort. Unser Hauptwerk,Beethovens freudige, tänzerische 7. Sinfonie,war ein Ausdruck dafür.
Letztes Jahr,2013, vollzog sich in unserem Partnerorchester ein Wandel. Zum ersten Mal warNukriDavitashvili, der georgische Gründer und „musikalische Vater" diesesProjektes, nur noch vorbereitend, begleitend und beratend beteiligt. Verständlich, ist er doch längst im fortgeschrittenen Rentenalter! Aber dieserphänomenale Musiker hat mit seinem überragenden Können und seiner ungeheurenAusstrahlung die zurück liegenden 20 Jahre ganz wesentlich geprägt. Wir hoffensehr, ihn heuer noch einmal im Saarland begrüßen zu können, wenn sein Schülerund Nachfolger Irakli Shermasanashvili das große Orchester sicher wie bereits imletzten Jahr mit viel jugendlichem Schwung und Begeisterungsfähigkeit zumMusizieren - und natürlich auch zum Singen anleiten wird.
20 Jahre Jugendorchesteraustausch, das sind natürlich auch weitere Werke: Haydn, Zinzadse, Bontempo, Faure, Kiladse, Witt, Lagidse, Vivaldi, Gounod, Mozart, Dvorak ..., das sind viele Solisten, viele unermüdliche Organisatoren, viele Helfer in der Küche und an allen nur erdenklichen Orten, viele Spender, das sind natürlich die Eltern und vor allem die vielen Jugendlichen! Für diemeisten Georgier war es eine einmalige Gelegenheit, nach Deutschland zu reisen,für alle Beteiligten aber sicher ein unvergessenes Erlebnis und insgesamt einstarkes Zeichen für Frieden und Völkerverständigung.
Der Blickzurück initiiert den Blick nach vorne: Die Zukunft ist ungewiss, weil dieFinanzierung dieser Projekte immer schwieriger wird. Sind wir also froh überalles, was gewesen ist und hoffen darauf, dass sich auch für die Zukunft Wegefinden lassen.
Hubert Paech